Prof. Dr.-Ing. T.
Harriehausen
Fachbereich Elektrotechnik |
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Was ist "Wissenschaftlichkeit"? |
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Meine Bewertungskriterien für
die Wissenschaftlichkeit einer Arbeit
Laut Diplomprüfungsordnung ist eine Diplomarbeit
eine "wissenschaftliche Arbeit". Darauf lege ich großen Wert. Daher
bin ich wiederholt von Diplomanden gefragt worden, was die Anforderungen
an eine wissenschaftliche Arbeit eigentlich sind. Nachfolgend meine Gedanken
zu diesem Thema. Sie beschreiben ein hohes Ziel, dessen Erreichbarkeit
durch den für die Anfertigung der Diplomarbeit tatsächlich
zur Verfügung stehenden Zeitraum allerdings relativiert wird.
Wesentlich für die Wissenschaftlichkeit einer
Arbeit sind zunächst die zugrunde liegende Arbeitsmethodik
und der fachliche Inhalt. Durch die Einhaltung bestimmter
formaler
Aspekte wird der wissenschaftliche Wert einer Arbeit erhöht, durch
deren grobe Mißachtung eventuell verdeckt. Leider gelingt es Blendern
und Betrügern manchmal, durch eine aufwendige äußere Form
einen gar nicht vorhandenen inhaltlichen Wert vorzutäuschen.
Nachprüfbarkeit, Verläßlichkeit,
Richtigkeit
Die Richtigkeit aller nicht dem Allgemeinwissen des
jeweiligen Fachgebietes zugehörigen Aussagen muss prinzipiell
nachprüfbar
sein.
Erreichbar u. a. durch Verweis auf von Fachleuten
anerkannte Quellen, rechnerische Herleitungen, Offenlegung der verwendeten
Roh-Messwerte.
Negativ: unreflektierte Übernahme von
Informationen aus zweifelhaften Quellen, Formulierungen wie "In der Vergangenheit
wurde schon immer ....", "... vermutlich ...", Berufung auf Messwerte,
die mangels Dokumentation des Messaufbaus nicht reproduzierbar sind.
"Willkürliche" Entscheidungen müssen nachvollziehbar
sein.
Erreichbar u. a. durch kritische Diskussion
der Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen.
Negativ: Entscheidungen, die "vom Himmel fallen",
Nichtbeachtung von für den fachkundigen Leser offensichtlichen Alternativen,
aber auch nachträgliche "Konstruktion" von offensichtlich unsinnigen
Pseudo-Alternativen, um zu Verschleiern, dass tatsächlich nur ein
einziger Ad-hoc-Ansatz verfolgt wurde.
Da Zahlenwerte, die keine Naturkonstanten sind, in
der Regel unsicher sind, ist eine kritische Würdigung der
Genauigkeit
von Rechenergebnissen wichtig.
Erreichbar u. a. durch Fehlerrechnungen oder
zumindest Fehlerabschätzungen.
Negativ: Offensichtliche Unkenntnis des Unterschiedes
zwischen Genauigkeit und Auflösung, z. B. die Angabe von 5 signifikanten
Ziffern beim Ergebnis einer Rechnung, deren Eingangsgrößen teilweise
nur Schätzwerte mit erheblicher Unsicherheit sind.
Die Arbeit sollte frei von schwerwiegenden fachlichen
Fehlern und anderen Peinlichkeiten sein.
Erreichbar u. a. durch sorgfältige Analyse
des Standes der Technik, sorgfältiges (Ein-)Arbeiten, Vermeidung extremen
Zeitdruckes, Diskussion der Zwischenergebnisse mit anderen Experten des
Fachgebietes.
Negativ: "Neuerfindung des Rades", Exponierung
auf einem Gebiet, in dem es an fundierten Kenntnissen fehlt.
Originalität, Neuigkeitswert,
Nutzen
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Die Arbeit muss vom Autor stammende
Informationen
über den Gegenstand der Arbeit enthalten, die vorher noch nicht
bekannt waren.
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Erreichbar u. a. durch sorgfältige Analyse
des Standes der Technik, sauberes Zitieren, Kreativität und Fleiß,
deutliches Herausstellen der geistigen Eigenleistung in den konzeptionellen
Abschnitten sowie in der Zusammenfassung und im Abstract.
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Negativ: Eine rein zitierende, unkritische
Literaturarbeit, eine weitgehend projektierende Arbeit, eine weitgehend
handwerkliche Arbeit, eine rein statistische Arbeit. (Solche Themen betreue
ich nicht als als Diplomarbeit.)
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Das Ergebnis der Arbeit muss von
Nutzen für
den Aufgabensteller sein.
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Erreichbar u. a. durch Bewußtmachung
und klare Verfolgung des Ziels der Arbeit, das i. d. R. in der Aufgabenstellung
formuliert ist.
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Negativ: Verlieren in Vorarbeiten, Nebenaspekten
oder unzureichende Darstellung erreichter Ergebnisse in der schriftlichen
Ausarbeitung.
Niveau der Darstellung
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Die schriftliche Ausarbeitung muss erhöhten
Ansprüchen genügen bezüglich ihrer klaren Struktur,
des fachlichen und sprachlichen Niveaus, der korrekten Nutzung
einschlägiger Fachtermini, der Kompaktheit der Darstellung
und der Rechtschreibung. Dabei sollte sie möglichst präzise
und
verständlich sein.
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Erreichbar u. a. durch ausreichende Einarbeitung
in die fachlichen Grundlagen, frühzeitigen Entwurf der Struktur der
Ausarbeitung, Einplanung von ausreichend Zeit zum Verfassen und Korrekturlesen
(lassen) der Ausarbeitung, weitgehende Beachtung der einschlägigen
Normen zum Abfassen wissenschaftlicher Texte (DIN 1421, DIN 1422, DIN 1505,
...).
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Negativ: Weitschweifigkeit, Umgangssprache,
Ironie, Polemik, große Mengen offensichtlicher Rechtschreibfehler,
unnötige Wiederholung von Informationen, aber auch: Vorspiegelung
eines hohen wissenschaftlichen Niveaus durch Mißbrauch von Sprache
oder mathematischen Formalismen zur komplizierten Beschreibung einfacher
Zusammenhänge. Vorsicht bei allgemeinen Ausdrücken wie "das System",
wenn nicht eindeutig klar ist, was gemeint ist.
Letzte Änderung: 6.7.2007;
Copyright © Prof. Dr. Thomas Harriehausen, Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel,
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